Economics and politics - comment and analysis
6. February 2020 I Heiner Flassbeck I Events, General Politics

Politik als Farce

Eine Farce, sagt der Duden, ist eine „Angelegenheit, bei der die vorgegebene Absicht, das vorgegebene Ziel nicht mehr ernst zu nehmen ist, und nur noch lächerlich gemacht, verhöhnt wird.“ Genau das hat sich gestern im Landtag von Thüringen abgespielt. Die von der Gesellschaft den Parlamenten vorgegebene Aufgabe, den Willen des Volkes zu vertreten, ist von gewählten „Volksvertretern“ lächerlich gemacht worden. Eine Mehrheit des Parlaments verhöhnte die Demokratie, indem sie einen Menschen zum Ministerpräsidenten wählte, den nichts, aber auch gar nichts außer der von den konservativen Parteien vorgespielten Farce berechtigt, diesen Titel zu tragen.

Man kann sicher darüber streiten, ob es eine kluge Idee der potentiellen Dreierkoalition aus Linken, SPD und Grünen war, nach monatelangen Verhandlungen ihr Programm und ihren Kandidaten für den Posten des Ministerpräsidenten in einem Parlament zur Wahl zu stellen, wo die Fronten total verhärtet sind und wo sie keine eigene Mehrheit hat. Wenn es aber geschieht, wenn drei demokratische Parteien mit einem Programm, das ganz nah bei der Mitte des politischen Spektrums liegt, vorschlagen, einen Politiker erneut zum Ministerpräsidenten zu wählen, der wegen seiner moderaten Position bis weit in die Wählerschaft der Konservativen hinein große Anerkennung genießt, dann ist es Ohrfeige für den Wähler und die Demokratie, wenn diejenigen, die über eine Mehrheit verfügen, seit der Wahl im Oktober aber jede Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch ausgeschlossen haben, zusammen mit der AfD einen FDP-Mann zum Ministerpräsidenten wählen, der bei der Wahl extrem knapp über die fünf-Prozent-Hürde kam und weder ein Programm vorweisen kann noch eine vergleichbare Minderheitskoalition hinter sich versammeln könnte.

Man erwartet von der AfD à la Höcke sicher von vorneherein nicht, dass sie irgendetwas mit der Demokratie im Sinn hat. Die Verhöhnung der eigenen Wähler durch Herrn Höcke, die in der Tatsache zum Ausdruck kommt, dass die Partei einen eigenen Kandidaten aufstellt, aber geschlossen einen anderen wählt, müssen die Wähler der AfD mit sich ausmachen. Dass CDU und FDP sich aber auf ein solches Bubenstück einlassen, das nur der Zurschaustellung der „unfähigen Demokratie“ dient, das ist unglaublich. Und dass Herr Lindner einen ganzen Tag und heftige Kritik aus der eigenen Partei braucht, um sich davon klar zu distanzieren, zeigt, dass es ihm an politischer Entscheidungsfähigkeit fundamental mangelt. Dass der Fünf-Prozent-FDP-Mann in Thüringen diese Wahl wirklich angenommen hat, zeigt wiederum, wie wenig viele unserer gewählten Repräsentanten von der Demokratie wissen. Im Vergleich zu dem anfänglichen Totalversagen der FDP hat die Parteispitze der CDU immerhin schnell die Kurve gekriegt und das ganze Verfahren für unerträglich erklärt. Sie muss jetzt allerdings beweisen, dass sie in der Lage ist, ihren Worten Taten folgen zu lassen.

Die Vorgänge in Thüringen sind allerdings auf tieferliegende Probleme unsere Demokratieausübung zurückzuführen, die auch jetzt kaum diskutiert werden. In immer stärkerem Maße werden in der Politik Sachdiskussionen durch Personal- oder Parteidiskussionen ersetzt. Zu Beginn der westdeutschen Demokratie hat man wenigstens versucht, über die dringenden Sachen zu diskutieren. Heute gibt es ritualisierte Polit-Auseinandersetzungen von Polit-Profis, die von der Sache nichts wissen, aber genau wissen, wer und wo der politische Gegner ist. Über das Koalitionsprogramm (hier zu finden), dass die Minderheitsregierung in Thüringen ausgehandelt hat, ist bis jetzt nicht gesprochen worden, sondern nur über die Tatsache, dass der Ministerpräsident von der stärksten Partei kommen sollte, die nun einmal die Linke ist. Wer das Programm ansieht und sich bewusst macht, dass es keine drei oder vier Abgeordnete von FDP und CDU gegeben hat, die dem wenigstens durch Enthaltung bei der Wahl des Ministerpräsidenten ihren indirekten Segen gaben, weiß, dass die politische Auseinandersetzung in Deutschland ein Niveau erreicht hat, das weit unter der Gürtellinie liegt und die Demokratie unmittelbar gefährdet.

Es geht aber auch kein Weg daran vorbei, dass Deutschland intensiv über sein Wahlsystem nachdenkt. Ich habe unmittelbar nach der Wahl in Thüringen im Oktober von Unregierbarkeit und ihren Gefahren gesprochen (hier) und genau das hat sich jetzt bestätigt. Mit fünf, sechs oder mehr Parteien in den Parlamenten gibt es keine einfachen Konstellationen für die Regierungsbildung mehr, die sachliche Auseinandersetzung tritt in den Hintergrund und Taktik bis hin zu Bubenstücken dominiert. Ich hatte damals geschrieben und stelle es hiermit erneut zur Diskussion:

„Wer Vielfarbenkoalitionen mit ihrer Neigung zum Glattbügeln aller Unterschiede das Wort redet, muss sich im Klaren darüber sein, dass auf diese Weise die Zerfaserung der Parteienlandschaft fortschreitet, weil es niemanden mehr gibt, den die Bürger wirklich verantwortlich machen kann für die Erfolge und vor allem für die Misserfolge. Das treibt ihn dazu, immer wieder neue Parteien zu wählen, weil die im Zweifel auf überzeugende Weise – so wie jetzt die AfD – alle die vorhandenen Parteien (die „Altparteien“ im Slogan der AfD) für alles Elend verantwortlich erklären.

 Nein, der permanente Fünfparteienkompromiss ist nicht die Lösung. Demokratie lebt von der Auseinandersetzung und der Konfrontation. Demokratien brauchen aber auch handlungsfähige Regierungen, die etwas ändern können und wollen. Das geht nur, wenn sich Blöcke bilden können, die gegeneinander stehen und sich gegenseitig ablösen können. Gelingt die Blockbildung nicht mehr über die inhaltliche Antagonie („Freiheit oder Sozialismus“), muss die formale Antagonie in Form eines brutalen Mehrheitswahlrechts her. Ob man das über die Direktwahl eines extrem mächtigen Präsidenten wie die Amerikaner macht oder über ein zweistufiges System wie in Frankreich, wo am Ende auch eine Partei die nahezu absolute Macht gewinnen kann, die nur ein Viertel der Wähler für sich gewinnen konnte. 

 Vielleicht gibt es noch viel bessere Lösungen, wahrscheinlich ist das jedoch nicht. In Deutschland sollte man daher bald damit beginnen, das eigene Wahlrechtssystem zu überdenken und fundamental in Frage zu stellen. Das wird schwer, weil ja immer fast jeder in Deutschland glaubt, den Stein des Weisen gefunden zu haben. Besser ist es jedenfalls, schnell mit dem Umdenken zu beginnen, weil die Unregierbarkeit auf lange Sicht verflucht teuer werden kann.“