Economics and politics - comment and analysis
15. July 2015 I Heiner Flassbeck I Economic Policy, Europe

The failed project of Europe – Jayati Gosh zur deutschen Rolle in Europa

Meine indische Kollegin und Mit-Autorin (aus dem Buch “Handelt jetzt” vom Westend-Verlag) hat eine vernichtende Kritik zur deutschen Rolle bei der “Einigung” vom Montag geschrieben. Hier der Text und darunter die deutsche Übersetzung:

There is a stereotypical image of an abusive husband, who batters his wife and then beats her even more mercilessly if she dares to protest. Such violent behaviour usually reflects a failed relationship, unlikely to be resolved through superficial bandaging of wounds.

It is stomach-churningly hard to watch such bullies in action. But the world has been watching the negotiations in Europe over the fate of Greece in the Eurozone with the same sickening sense of horror and disbelief, as leaders of Germany and some other countries behave in similar fashion.

The extent of the aggression, the deeply punitive conditions being imposed for a very ungenerous bailout and the terrible humiliation and pain forced upon the Greek people are hard to explain in purely economic or even political terms. It seems to reflect some deep, visceral anger that has been awakened in the EU leadership by the sheer effrontery of a government of a small state that dared to consult its people rather than immediately bowing to their commands. The anger is also directed at the Greek people, who dared to vote in a referendum against the terms of a bailout package that offered them only more austerity, less hope and continued pain in the foreseeable future, just so that their country can continue to pay the foreign debts that everyone knows are ultimately unpayable.

The EU response to ignore completely the will of the Greek people as expressed in the referendum, and then to pushing even worse conditions on them for their resistance. These may be the most appalling and humiliating terms that have been seen in a non-war situation for any European nation, for the increasingly dubious advantage of staying within the eurozone.

Greece would become an economic protectorate, little more than a colony of Germany within the Eurozone. It will have no control over its fiscal policies, forced to sell valuable public assets just to keep trying to pay its creditors. It will have to reverse decisions to preserve some public employment (such as cleaning workers and security guards, whom it will now have to fire again). It will have to further cut pensions of elderly people who have already seen their incomes fall by 40 per cent. It will have to increase indirect taxes hitting the poor most. It will have to accept the constant presence of the external rulers, in the form of an IMF team that will monitor the budget and the activities of the Greek government. And the result of all this austerity will be more depression, in an economy that has been spiralling downwards for more than five years, encouraging the rise of rightwing zenophobic movements. This is a really prolonged Greek tragedy, with no clear end in sight.

EU leaders point to countries like Ireland and Spain and even Latvia, as supposed “success stories” of austerity because their governments took the bitter medicine and the economies are now recovering. This is nonsense. None of them has been made to suffer the extreme austerity imposed on Greece, and their much vaunted “recoveries” are on completely depressed levels of income that are still far lower than five years ago. Unemployment rates remain very high, even after the emigration of the young and of the best and brightest in these societies has made labour force numbers fall. They are being presented as successes only to promote a finance-driven approach to economic policy and camouflage the greater failure of the Eurozone to come out of stagnation.

The loudest European voices about how this is a betrayal of people’s will and how the current EU is incompatible with democracy today come from extreme rightwing parties like the National Front in France, the UK Independence Party, along with Beppe Grillo’s Five Star Movement in Italy. Centre-Left parties are too bound up in the flawed European project to protest, and more progressive movements like Podemos in Spain are in a state of shock. Indeed, the desire to prevent the rise of such progressive movements is probably a major force determining the bellicose stance of the EU towards Syriza.

But this drama is not over: the humiliation of Greece today will come back to torment European leaders tomorrow. The ideal of a united Europe is demolished, and the reality of the project is laid bare: in the interests of finance capital, enforced by the German state and fundamentally antagonistic to democracy and social justice.

This unhappy European marriage cannot last. The only questions now are: how long will it take before the breakdown becomes explicit? How much more pain and violence will be forced on people across Europe before that final break? And how long will German government bullying in the interests of finance capital be tolerated by the people of Europe and ultimately by the people of Germany themselves?

Und hier die deutsche Übersetzung:

Das gescheiterte Projekt Europa

Es gibt das stereotype Bild von dem gewalttätigen Ehemann, der seine Frau verprügelt und sie nur noch gnadenloser schlägt, wenn sie zu protestieren wagt. Ein solches gewalttätiges Verhalten ist normalerweise ein Zeichen einer gescheiterten Beziehung, die nicht mehr durch das oberflächliche Verbinden der Wunden gerettet/geheilt werden kann.

Es dreht einem den Magen um/ tut einem in der Seele weh, wenn man einen solchen Tyrannen in Aktion sieht. Aber die Welt hat die Verhandlungen in Europa über das Schicksal Griechenlands in der Eurozone mit der selben ekelerregenden Mischung aus Entsetzen und Ungläubigkeit verfolgt, als die Führer Deutschlands und anderer Länder sich in ähnlicher Weise aufführten.

Das Ausmaß an Aggression, die streng strafenden Bedingungen, die für eine sehr unnachsichtige Rettung auferlegt wurden und die schreckliche Demütigung und der Schmerz, der dem griechischen Volk aufgezwungen wurde, können kaum mit rein wirtschaftlichen oder politischen Gründen erklärt werden. Es scheint, dass hier die tief sitzende Wut der EU-Führung über ein kleines Land zum Ausdruck kommt, das die Frechheit besaß, sein Volk zu befragen, anstatt sich unmittelbar den Befehlen zu beugen. Die Wut richtet sich auch gegen das griechische Volk, das es wagte, in einem Referendum gegen die Bedingungen eines Rettungspakets zu stimmen, das ihnen nur weitere Austerität, weniger Hoffnung und eine Fortsetzung des Leids in absehbarer Zukunft bringen sollte und ihnen nur so viel ließ, um weiterhin die Auslandsschulden zu bezahlen, von denen jeder weiß, dass sie letztlich unbezahlbar sind.

Die Reaktion der EU bestand darin, den Willen der Griechen, wie er im Referendum zum Ausdruck gekommen war, zu ignorieren und ihnen für ihren Widerstand noch schlimmere Konditionen aufzubürden. Diese sind vielleicht die schrecklichsten und zutiefst demütigenden Bedingungen, die es je für eine europäische Nation in einer Nicht- Kriegssituation gab, für den zunehmend zweifelhaften Vorteil eines Verbleibs in der Eurozone.

Griechenland würde zu einem wirtschaftlichen Protektorat, kaum mehr als eine Kolonie Deutschlands in der Eurozone. Es wird keine Kontrolle über seine Finanzpolitik haben, es wird gezwungen, wertvolle öffentliche Vermögenswerte zu verkaufen und damit weiter seine Gläubiger zu bezahlen. Es wird seine Entscheidungen, einige öffentlich Beschäftigte zu erhalten, zurücknehmen müssen (wie z.B. Reinigungskräfte und Sicherheitspersonal, die nun wieder gefeuert werden müssen). Es wird weiter die Renten der alten Menschen senken, die bereits einen Rückgang ihrer Einkommen um 40 Prozent hinnehmen mussten. Es wird die direkten Steuern erhöhen müssen und damit die Ärmsten treffen. Es wird die permanente Anwesenheit externer Herrscher in der Form des IWF hinnehmen müssen, die den Haushalt und die Handlungen der griechischen Regierung überwachen. Und das Ergebnis all dieser Austerität wird weitere Depression sein in einer Wirtschaft, die sich schon seit fünf Jahren in einer Abwärtsspirale befindet. Damit wird das Aufkommen rechtsgerichteter, fremdenfeindlicher Gruppierungen begünstigt. Dies ist wirklich eine verlängerte griechische Tragödie, und ein klares Ende ist nicht in Sicht/ohne Aussicht auf ein gutes Ende.

EU-Politiker verweisen auf Länder wie Irland und Spanien oder sogar Lettland, als angebliche „Erfolgsbeispiele“ für Austerität, weil diese Länder die bittere Medizin geschluckt hätten und ihre Volkswirtschaften sich erholten. Das ist Unsinn. Keines dieser Länder musste ein so extremes Austeritätsprogramm durchmachen wie das, das Griechenland aufgezwungen wurde. Die vielgepriesene „Erholung“ erfolgt auf sehr niedrigem Einkommensniveau, das immer noch weit niedriger ist als vor fünf Jahren. Die Arbeitslosenquote ist in diesen Ländern weiterhin hoch, die Zahl der Beschäftigten (labour force numbers) sank, nachdem viele der Jungen, Besten und Klügsten ausgewandert sind. Diese Länder werden nur deshalb als Erfolge präsentiert, um für einen finanzgetriebenen Ansatz der Wirtschaftspolitik zu werben und um zu verschleiern, dass in der Eurozone der Versuch, aus der Stagnation herauszukommen, gescheitert ist.

Die lautesten Stimmen in Europa gegen diesen Betrug am Volkswillen und die Klage, dass die EU inkompatibel mit der Demokratie sei, kommen heute von Parteien vom extrem rechten Flügel wie dem Front National in Frankreich, der UK Independent Party und der Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo in Italien. Die Parteien links von der Mitte sind zu sehr in das gescheiterte Europäische Projekt verwickelt um zu protestieren und progressivere Bewegungen wie Podemos in Spanien befinden sich in einem Schockzustand. Tatsächlich ist das Ziel, das Aufkommen von solchen progressiven Bewegungen zu verhindern, ein entscheidender Grund für die feindselige Haltung der EU gegenüber SYRIZA.

Aber das Drama ist noch nicht vorüber: die Demütigung Griechenlands heute wird die europäischen Führer von morgen heimsuchen. Die Idee eines vereinten Europas ist zerstört und die Realität des Projekts wird offenkundig: die Interessen des Finanzkapitals, durchgesetzt von Deutschland, grundlegend antagonistisch zu Demokratie und sozialer Gerechtigkeit.

Diese unglückliche europäische Ehe kann nicht fortbestehen. Die einzigen Fragen sind nun: Wie lange wird es dauern, bis das Scheitern eingestanden (explicit) wird? Wie viel Schmerz und Gewalt wird den Menschen in Europa noch zugefügt werden, bis es zum Zusammenbruch kommt? Und wie lange wird das Tyrannisieren der deutschen Regierung im Interesse des Finanzkapitals noch toleriert werden, von den Menschen in Europa und schließlich auch von den Menschen in Deutschland selbst?

Übersetzung: Stephanie Flassbeck